Außen Stillstand, Innen Chaos?

„Lockdown, Homeschooling, Maskenflicht, Kontaktbeschränkungen,…“ All diese Wörter hätten wir wohl vor rund einem Jahr nicht unbedingt zu unserem alltäglichen Sprachgebrauch gezählt. Doch seit Beginn der Corona Pandemie steht unser aller Leben Kopf. Die vielen neuen Regelungen und Einschränkungen machen den normalen Alltag unmöglich und verändern das Sozialleben immens. Das alles hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf die Außenwelt, sondern beeinflusst unsere psychische Verfassung mindestens ebenso stark. Vor allem für Jugendliche stellen der Online Unterricht und die strengen Kontaktbeschränkungen große Herausforderungen dar, welchen man sich jeden Tag aufs Neue zu stellen hat.

Wenn plötzlich die Kinos, Discos, Restaurants und Geschäfte schließen, kann man sich schon einmal fragen: „Was soll ich denn jetzt mit mir anfangen?“ Vor allem im jugendlichen Alter ist Erfahrungen machen einer der wichtigsten Bestandteile des Lebens. Man lernt neue Leute kennen, probiert neues Essen aus und macht auf Partys und mit Freunden Erfahrungen, welche intensiv das weitere Leben beeinflussen können. Dem stimmt auch Mattias Fischer von der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle (EZB) in Füssen zu. In dieser Phase des Lebens sei es wichtig für Jugendliche, sich langsam von ihren Eltern abzugrenzen und die eigene Persönlichkeit durch mehr Selbstständigkeit zu entwickeln. Doch dieser Prozess des Teenagerlebens wird durch die Regelungen der Regierung quasi unmöglich. „Man fühlt sich um dieses Jahr beraubt“, findet eine Schülerin des Gymnasiums Hohenschwangau.

Natürlich wissen wir alle, dass es hierbei um den Schutz der Gesellschaft geht und dass diese Vorschriften unbedingt nötig sind. Und trotzdem fällt es schwer, sich mit der Situation, wie sie eben ist, abzufinden und so gut es geht weiterzumachen. Sich auch mal nur um sich selbst zu kümmern, wenn man schon einmal die Zeit hat. Aber warum ist das so? Psychologen erklären diesen Zustand vor allem mit Angst und Unsicherheit, zum Beispiel Angst vor der Zukunft. Werde ich meine Freunde bald wiedersehen können? Aber auch Angst um die eigene Gesundheit oder die von Familienmitgliedern spielen eine Rolle. Trotzdem machen den Jugendlichen hautsächlich die soziale Isolation und der Wegfall ihres Alltags schwer zu schaffen, was aus Interviews mit einigen Mitschüler*innen hervorgeht. Ein geregelter Tagesablauf erleichtert vielen Menschen ihr Leben ungemein und meist ist dieser Ablauf zum größten Teil von außen vorgegeben. Doch nun muss man selbst dafür sorgen, regelmäßig nach draußen zu gehen und sich zu bewegen, denn der Schulweg fällt weg und das wöchentliche Training ebenso. Das ist wirklich eine große Aufgabe und auch Herausforderung. Sich aufzuraffen und Sport zu machen, ohne das der Trainer schimpft, weil man zu faul sei. Für viele ist diese Herausforderung einfach zu groß und sie können sich nicht motivieren, sich selbst einen Alltag zu „erstellen“ und diesen dann auch einzuhalten. Ein Großteil der befragten Jugendlichen gab entsprechend an, während des ersten Lockdowns viel Zeit mit dem Handy oder vor Netflix verbracht zu haben und nur wenige berichteten von einem strukturierten Tagesablauf. Hand in Hand damit ging auch oft eine Verschlechterung der psychischen Verfassung. Die Schüler erzählten von Langeweile, Müdigkeit, Einsamkeit und Faulheit. Während des zweiten Lockdowns jedoch sah die Situation bei vielen anders aus, da sie aus dem ersten Mal gelernt hatten, dass man „für das eigene Wohlergehen aktiv etwas tun sollte.“

Ein Großteil der Jugendlichen berichtete nun, sie würden mehr Sport treiben, mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen, spazieren gehen, kochen, Yoga machen und öfters mal mit ihren fehlenden Liebsten telefonieren. Dieses Verhalten half Vielen motivierter, gelassener und positiver an die Sache heranzugehen und sich wohler in der eigenen Haut zu fühlen. 

Auch im Hinblick auf die schulischen Leistungen ist die Pandemie eine große Herausforderung für Schülerinnen und Schüler jeden Alters. „Der Online Unterricht ist einfach nicht mit dem Präsenzunterricht zu vergleichen“, meint ein Jugendlicher und alle Befragten bestätigen diese Aussage. Begründet wird diese Haltung mit den technischen Problemen, der erschwerten Konzentration und vor allem durch die wegfallende Motivation in Form von Schulaufgaben, Exen oder Klausuren. 90% der befragten Schüler*innen schaffen es nicht, sich im gleichen Maße zu engagieren und zu motivieren, wie wenn normaler Unterrichtsbetrieb wäre. „Es ist irgendwie sinnlos, jetzt was zu lernen“, meint eine Schülerin aus der 11. Klasse. Die Unsicherheit wann, wie und ob überhaupt Prüfungen stattfinden werden, macht es unmöglich, sich wie sonst vorzubereiten und zu üben. Daher sinken bei Manchen auch die schulischen Leistungen in einzelnen Fächern aufgrund von fehlender Motivation und Lernbereitschaft. Doch die Berater der Erziehungsberatungsstelle in Füssen meinen dazu nur: „Ruhig bleiben.“ Es ist völlig normal , dass die Schule unter diesen Umständen leiden kann. Das ist kein Grund zur Sorge, denn auch die Lehrer*innen verstehen die schwierige Lage und unterstützen ihre Schüler*innen so gut es geht.

Eine weitere Frage, welche sich offensichtlich stellt, ist jene, ob und wie viele Informationen zum Thema Corona oder auch zu anderen Themen man sich zumuten sollte. Auf diese Frage antwortet Daniela Flemmich, ebenfalls zuständig bei der EZB in Füssen, dass man hier auf sein Bauchgefühl hören und sich darauf verlassen solle. Nicht für jeden ist der Punkt, ab dem es einem zu viel wird, zum gleichen Zeitpunkt erreicht. Das sollte man selbstständig herausfinden, indem man sich folgende Fragen stellt: Welche Informationen brauche ich dringend? Was machen diese Informationen mit mir? Wie viele zusätzliche Infos sind wirklich notwendig? Denn vor allem in Zeiten, in denen die Außenwelt zum Großteil still steht, sprudeln die Sozialen Netzwerke über, was eine Studie von Bitcom Research 2020 belegt. Laut dieser machen 75% der Internetnutzer über 16 Jahre zurzeit intensiveren Gebrauch von den sozialen Medien als vor Beginn der Pandemie. Das hat unter anderem zur Folge, dass verstärkt Fakenews verbreitet werden, vermehrt Storys zu alltäglichen Ereignissen und besonderen Erlebnissen gepostet werden und unsere Gesellschaft mehr und mehr in Social Media versinkt. Am Ende weiß niemand mehr, was überhaupt wahr ist und man wird letztendlich doch meistens nur neidisch, unsicher oder ist überfordert mit  den ganze Informationen. Wir Jugendliche sind häufig die, die am schnellsten auf so etwas reinfallen, da wir uns stark von Apps wie Instagram oder Snapchat beeinflussen lassen und glauben, was die Storys zeigen wäre real. Wir schauen uns Beiträge von entfernten Bekannten oder gar Unbekannten an, werden sofort eifersüchtig und fühlen uns klein und minderwertig, weil anscheinend alle anderen das mit dem Lockdown so viel aufregender gestalten uns so viel aktiver sind als wir. Diese Gedanken und Gefühle gaben auch der Großteil der befragten Schüler*innen an. Dabei ist diese Pandemie kein Wettbewerb, wer die Zeit am besten nutzt oder wer am glücklichsten ist. Doch sich das bewusst zu machen, ist ganz schön schwer und kostet Überwindung. Aber das ist okay. Es sei für jeden gerade eine schwierige Zeit und oftmals sollte man mit sich selbst nachsichtiger sein, und das tun, was sich für einen selber am besten anfühle, meint Mattias Fischer.

Zum Schluss habe ich zusammen mit dem Experten ein paar Tipps zusammengestellt, wie ihr eure Psyche in dieser anspruchsvollen Zeit am Besten „versorgen“ könnt:

  1. Sich klar machen: Ich bin nicht alleine! Es geht gerade allen so!
  2. Sich selbst bestätigen und Mut zusprechen: Das ist alles irgendwann vorbei!
  3. Sich untereinander austauschen und über die eigenen Probleme und Gedanken sprechen (Falls ihr niemanden zum Reden haben solltet, findet ihr nachfolgend die „Nummer gegen Kummer“ und die Telefonnummer der EZB Füssen).

Nummer gegen Kummer: 116111

Jugendberatung Füssen: 08362/38424

„Es zeugt von Stärke, den Mut zu haben und zu sagen `Hallo, ich hätte gerne Hilfe`“, Mattias Fischer.

Zum Ende hin finde ich es wichtig, nicht nur von den negativen Auswirkungen der Corona Pandemie zu berichten, sondern auch die positiven Aspekte zu berücksichtigen. Die Krise hat vielen Menschen geholfen, mehr über die eigene Persönlichkeit herauszufinden und sich weiterzuentwickeln. Durch die viele freie Zeit war man schon fast gezwungen, sich mit dem eigenen Leben und den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen. Man entdeckt ganz neue Seiten an sich und lernt damit umzugehen. Diese psychische Weiterentwicklung wertet die Lebensqualität unglaublich auf, da man Entscheidungen besser, fundierter trifft und mehr auf die eigenen Bedürfnisse zu hören lernt. Von diesen Erfahrungen berichten die Schüler*innen aus Hohenschwangau ebenso. Auch die Freude über die kleinen Dinge im Leben steigt erheblich, wenn fundamentale Bedürfnisse wie Bewegungsfreiheit und Kontaktfreiheit plötzlich eingeschränkt werden. So berichtete eine Schülerin von der großen Freude, eine Freundin nach langer Zeit wiederzusehen, welche nicht zu vergleichen war mit der normalen Freude über eine Verabredung. Auch der tägliche Spaziergang ist fast zu einem Privileg geworden, welches man nun mehr denn je zu schätzen weiß.

Deshalb hoffe ich, dass ihr alle positiver, dankbarer und mit neuen Erkenntnissen über euch selbst aus dieser Krise geht und vor allem nicht den Mut verliert!